„Wir bleiben bis der Bagger kommt“


 

Bis zum 30. Juni sollte die Begegnungsstätte Stille Straße 10 geräumt und die 29 Seniorengruppen anderweitig untergebracht werden. So steht es im Haushaltsbeschluss der Bezirksverordnetenversammlung von Pankow. Doch dazu wird es nicht kommen.

Doris Syrbe: „Wir sollen auseinandergerissen werden.“

Zum einen, weil es das Bezirksamt bisher nicht vermocht hatte, den Senioren sachgerechte Ausweichmöglichkeiten für ihre Kurse anzubieten.
Zum anderen, weil sich die über Jahre gewachsene Gemeinschaft von über dreihundert Nutzer der Einrichtung nicht auseinanderreißen lassen will. Nun haben sie das Haus besetzt.

Freitag Mittag 13 Uhr: Auf der dem Garten des Hauses zugewandten Terrasse versammelt sich ein Teil der rund fünfzig anwesenden Sechzig- bis Neunzigjährigen, um ein Transparent zu entfalten. „Dieses Haus ist besetzt“ steht da in großen Lettern, unten stehen Fotografen und Journalisten von Berliner Tageszeitungen. Der rbb hat ein Kamerateam geschickt, der Hörfunk ist auch da.

“Wir bleiben alle!“

Dann ertönt der Ruf nach Doris Syrbe, der Vorstandsvorsitzenden der Seniorenstätte.

Die 72-Jährige wird sofort von den Reportern umringt. Sie ist in den vergangenen Monaten zum Gesicht des Protestes der Frauen und Männer aus der Stille Straße geworden.
Sie sprach vor der Bezirksverordnetenversammlung, hatte bei den Ausschusssitzungen ihre Stimme erhoben und führte bei der „Wir bleiben alle“-Demo den Demonstrationszug an.
Hier nun berichtet sie den Journalisten vom Zusammenhalt in der Stille Straße 10 und davon, dass es für die Senioren nicht nur darum geht, den einen oder anderen Kurs zu besuchen. Viele seien alleinstehend, für sie sei die Begegnungsstätte ein zweites Zuhause. Mit der Schließung des Hauses und der Aufteilung der einzelnen Kurse auf andere Einrichtungen des Bezirks würde dies wegfallen: “Wir sollen auseinandergerissen werden.”
 

Bezirkspolitik hat kein Interesse am Erhalt

Kurze Zeit gab es ein wenig Hoffnung: Die Linksfraktion in der BVV hatte bereits im April einen Antrag eingebracht, der da lautet: „Das Bezirksamt wird ersucht, den Fortbestand der Angebote der Begegnungsstätte dauerhaft zu sichern.

Ruth Dzudzek: Stuhlgymastik auf Kleinkinder-Hocker

Hierzu sind auch Möglichkeiten der Erbbaupacht der Liegenschaft für eine soziale Nutzung und die Möglichkeit der Vergabe an einen Träger zu prüfen. Bis zu einer angebotssichernden Lösung ist die Einrichtung in der Stillen Straße aus bezirklichen Haushaltsmitteln unabdingbar.“

Damit wäre das Haus im Eigentum des Bezirkes verblieben, hätte keine Kosten verursacht und sogar noch Pachteinnahmen eingebracht. Doch als der Antrag Anfang Juni im Sozialausschuss behandelt wurde, wollte die Mehrheit von SPD, Grünen, CDU und Piraten dies nicht mittragen – und so wurde der letzte, aber entscheidende Satz aus dem Antrag gestrichen.

Ruth Dzudzek, die in der Stille Straße die Gymnastikkurse leitet, war mit vielen anderen bei jener Ausschusssitzung dabei. Dort hatte sie über die angeblich sachgerechten Ausweichangebote des Bezirksamtes berichtet. So auch über ihre Stuhlgymnastikgruppe. In der sind die älteren der Alten zugange. Jene, für die Barrenturnen nun doch nicht mehr in Frage kommt. Ihre gymnastischen Übungen absolvieren sie sitzend auf einem Stuhl. Jener Gruppe wurde als Ausweichort eine Kita angeboten.

Entschlossen, zu bleiben

Die Sitzgelegenheiten dort waren auf die Körpergröße der Drei- bis Fünfjährigen zugeschnitten… .
Auch über die subtilen Versuche des Bezirksamtes, den Widerstand der Rentner zu brechen konnte, konnte sie einiges erzählen: Kursleiter, die sich weigerten, gegen den Willen der Senioren in eine Ersatzräumlichkeit zu ziehen, wurde die Auszahlung ihres Honorars verweigert.
Auf jener Ausschusssitzung hatten die Leute aus der Stille Straße Vorschläge eingebracht, wie die Begegnungsstätte in Zukunft noch besser genutzt werden könnte: So sollte man darüber nachdenken, nach einer möglichen Modernisierung das Haus für Jugendliche zu öffnen, um es so zu einem generationsübergreifenden Ort zu machen.

 

Besetzt auf unbestimmte Zeit

Nach den Gesprächen mit den Journalisten und Gästen ziehen die Besetzer mit ihrem Transparent vor den Eingang des Grundstücks.

Bekannte von der “Wir-bleiben-alle“-Demo

Nach den Gesprächen mit den Journalisten und Gästen ziehen die Besetzer mit ihrem Transparent vor den Eingang des Grundstücks.
“Wir bleibe, bis der Bagger kommt” ruft Doris Syrbe in die laufenden Kameras. Ihre Mitstreiter skandieren im Chor: „Wir bleiben hier! Wir bleiben hier!“ und machen ihrem Unmut über die geplante Schließung noch einmal kräftig Luft.

Plötzlich fährt ein Kleintransporter vor. Ihm entsteigen ein paar junge Männer, öffnen die Heckklappe und Vorschein kommt all jene Dinge, die man für eine Hausbesetzung so braucht: Matratzen, Decken, Transparente…

Alles, was man für eine Besetzung so braucht…

Die jungen Helfer hatte Doris Syrbe bei der Demonstration im April kennengelernt.
Nun waren sie hier, um die betagten Besetzerinnen und Besetzer zu unterstützen.

Das Haus Stille Straße 10 soll so lange besetzt bleiben, bis der Bezirk eine akzeptable Lösung gefunden hat.
Und die kann nach dem Willen der betroffenen Seniorinnen und Senioren nur heißen: Die Begegnunsstätte bleibt erhalten – egal in welcher Form.

Dass das lange dauern kann, ist ihnen durchaus klar.
„Wir werden natürlich nicht immer alle hierbleiben“, verrät eine der Besetzerinnen, „sondern uns gegenseitig ablösen. Und wenn es wirklich mal hart auf hart kommen sollte: Wir wohnen ja hier alle nur ein paar Wegminuten entfernt.“

 

 

 

 

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5 Kommentare zu “„Wir bleiben bis der Bagger kommt“”

  1. Jan Schrecker

    Jul 02. 2012

    Ich muss diesem Artikel doch an einigen Stellen widersprechen.
    Ich habe mich 2 mal mit den Senioren der Stillenstr. getroffen und das Haus besichtigt.

    Bei meinem letzten Besuch wurde mir gesagt, dass die Volkssolidarität als Träger angeblich interesse hätte. Ich fragte, wann die Volkssolidarität denn das entscheiden würde. Es wurde mir von Frau Syrbe gesagt, es würde sich an dem Dienstag, wo der Ausschuss darüber verhandeln würde, entscheiden. Ich habe deshalb in der Ausschusssitzung gefragt, ob ein Vertreter der Volkssolidarität da ist, ob das Bezirksamt was über das Interesse der Volkssolidarität weis. Beides wurde verneint. Ich hatte zumindest erwartet, wenn es einen Träger gbt der Interesse gehabt hätte an dem Projekt, dass der wenigstens im Ausschuss da wäre.

    Ich lasse kein teures und aufwendiges Interessensbekundungsverfahren durchführen, wenn es anzunehmen ist, dass sich darauf kein Träger melden würde.

    Es wurden den Senioren einige Angebote gemacht, ihre Gruppen in andere umliegende Räumlichkeiten zu verlegen.

    Das Haus kostet dem Bezirk im Jahr um die 60 Tausend Euro, die jetzt eingespart werden. Die Sanierung des Hauses kostet Millionen, da bei einer kleinen baulichen Veränderung im Haus die neue Bauordnung gilt und diese barrierefreiheit vorschreibt. Man sollte sich hier eher beim Abgeordnetenhaus beschweren, da die die Kürzungen im Bezirkshaushalt im Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Der Bezirk muss sich dann entscheiden, wo er die Kürzungen umsetzt und alle sagen natürlich, aber nicht bei uns. Das Abgeordnetenhaus zieht sich mit den Kürzungsvorgaben hier schön aus der Affähre. Mir wäre die Erhaltung der Einrichtung auch lieber gewesen.

    Jan Schrecker
    Piratenfraktion

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